Höhenflug
Ist es verrückt, nachts zwischen 3:00 und 6:00 Uhr auf einer ecuadorianischen Parkbank zu schlafen? Vielleicht schon, aber es kann erforderlich werden, wenn man zuvor um 2:30 Uhr in der kleinen Stadt Alausí aus dem Bus steigt, alle Hotels zu sind und man am nächsten Morgen um 6:00 Uhr zu einer 2-tägigen Wanderung aufbrechen möchte.
Die Antwort muss eindeutig negativ ausfallen, wenn man das Bild ein bisschen weiter ausmalt: „Man“, das sind die 4 Zivis der Ecuador-Connection 2007/2008, auf ihrem wahrscheinlich letzten gemeinsamen Ausflug, der 40km langen Wanderung auf einem Abschnitt des „Camino del Inca“ zwischen Achupallas und Ingapirca in der Nähe von Cuenca. Und wer würde es wagen, diese vier ausgewachsenen Exemplare der Spezies Homo sapiens anzugreifen? Zudem hatten wir wie zu Hause in Quito einen Wachmann: Niklas, der schon im Bus geschlafen hatte. Noch sicherer fühlten wir uns, nachdem wir von einem Polizisten angeboten bekamen, dass er uns am Morgen selbst nach Achupallas fahren könne, allerdings in einem anderen Auto…
Frierend und müde bestiegen wir am Samstagmorgen um 6 Uhr gemeinsam mit 8 Ecuadorianern einen Kleinlastwagen, der uns in einer zweistündigen, holprigen Fahrt weit hinauf in die Berge nach Achupallas brachte. Dort angekommen, hieß es auf dem kleinen Markt Proviant kaufen und eine warme Suppe als stärkendes Frühstück essen. Wir brachen gegen 9 Uhr auf.
Die ersten Meter waren frustrierend: Ein winziger Hügel, alle keuchen. Zudem hatte die Sonne, deren Wärme auf der Fahrt alle herbeigesehnt hatten, den Kampf gegen die dicke Wolkenschicht aufgegeben. Also war unser erster Stopp dem allgemeinen Herauskramen der Regenjacken gewidmet – so sollte es wohl sein.
In den nächsten 4 Stunden ließen wir alle menschlichen Siedlungen hinter uns und erklommen die „Laguna de los tres Cruces“. Das bedeutete die Überwindung von etwa 700 Höhenmetern und bescherte uns einen ersten Eindruck von der Landschaft oberhalb der Baumgrenze: Berge und Täler, bestehend aus kahlen, weiten Flächen, bewachsen mit Moosen und Gräsern. Hin und wieder sahen wir eine Kuh oder ein Schaf. Viel Wasser, überall kleine Bäche und Rinnsaale. So viel Wasser, dass weite Teile des Weges selbst zum Bach wurden, immer wieder gingen wir durch überflutete Wiesen, jeden Schritt sorgsam abwiegend.
Ebenso wiegend: der Rucksack auf unseren Schultern! Beim Anblick all dieser Bäche fragten wir uns, ob es tatsächlich nötig war, 15 Liter Trinkwasser mitzunehmen. Die laufenden Kuriere der Inkazeit haben auf diesen Ballast sicherlich verzichtet, soviel ist sicher. Bei unseren kleinen Pausen ist jeder schnell mit der eigenen Wasserflasche zur Stelle, nur zu gerne bietet man den anderen etwas an und animiert sie, doch noch einen Schluck zu nehmen. Ob es nun tatsächlich an diesem einen Schluck oder der Pause lag: Beim Aufbruch danach schien der Rucksack jedes Mal ein wenig leichter.
Es ist eine interessante Frage, inwiefern der Mensch zur Selbsttäuschung fähig ist. Wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema sollten mit einem Selbstversuch beginnen, etwa der Besteigung eines Berges. Die Täuschung, die nächste Kuppe sei der Gipfel, scheint auch mit ihrer 20. Wiederholung nicht an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Sie nimmt eher zu, wird doch der Wunsch mit jedem Mal stärker. Bloßes Wünschen mag zwar den Glauben stärken, es macht aber aus einer einfachen Kuppe noch keinen Gipfel. Eine Einsicht, die wir alle zu Genüge machen durften.
Dennoch: Gegen 16 Uhr erreichten wir den höchsten Punkt unseres Weges, den Bergkamm „Cuchillo des los tres Cruzes“ auf 4.700m Höhe. Uns allen stand mittlerweile die Erschöpfung ins Gesicht geschrieben. Als sich nun die Sicht durch die uns einhüllenden Wolken auf wenige Hundert Meter beschränkte, mischte sich auch Enttäuschung in unsere Mienen. Wie groß war da die Freude, als die Wolkenwand plötzlich aufriss und die Sicht auf die zweite Lagune und das dahinter liegende Bergmassiv freigab. Keine 10 Minuten später hatten wir eine fantastische Rundumsicht. Auch die dritte Lagune war nun sichtbar, zu beiden Seiten des Bergkammes erstreckten sich weite, wogende Täler, eingegrenzt von mächtigen Bergketten. Welch ein erhabenes Gefühl!
Wir hatten unser Tagesziel erreicht. Beim Absteigen hielten wir Ausschau nach einem geeigneten Zeltplatz für die Nacht. Schließlich fanden wir den idealen Ort: Windgeschützt hinter zwei Hängen gelegen, mit schönem Ausblick auf die dritte Lagune und ebenem Boden. Mit Sonnenuntergang (18:00 Uhr) waren die Zelte aufgebaut und wir hatten uns mit allen verfügbaren Kleidungsstücken in unsere Schlafsäcke eingemümmelt. Zeit für das wohlverdiente Abendbrot!
Gemäß unserem Proviantplan standen jedem 2 Brötchen, 2 Bananen, 1 Möhre, 5 Kekse und ein Anteil an den 2 Thunfischdosen zu. Ein Festmahl! Gesättigt und sehr müde wickelten wir uns noch einmal fest in unsere Schlafsäcke ein, richteten das behelfsmäßige Kopfkissen und wünschten einander eine gute Nacht.
Der nächste Morgen begann früh – und kalt. Unser Wecker stand auf 6 Uhr, denn wir wollten mit den ersten Sonnenstrahlen aufbrechen. Folglich mussten wir beim Anziehen und Abbauen ohne sie auskommen. Schon beim Aufstehen waren alle davon überzeugt, dass das Verlassen des warmen Schlafsacks eines übermenschlichen Willens bedürfe. Doch wie sich herausstellte, hatten wir das Anziehen der eiskalten, klammen Hosen unterschätzt. Wir packten in Rekordzeit und brachen auf, denn wir versprachen uns Wärme von der Bewegung des Laufens.
In der ersten Tageshälfte durchquerten wir ein langes Tal und erklommen eine Hügelkette. Erneut bot sich das Bild weiter, geschwungener Flächen, moosbewachsen und von vielen keinen Bachläufen durchzogen. Nicht immer war der Weg gut zu erkennen, doch ein Blick auf Karte und Kompass gab uns immer wieder neue Sicherheit. Gegen Mittag erreichten wir einen Höhenzug, von wo aus der Blick weit in das nächste Tal reichte. Unter uns lag unser Ziel Ingapirca.
Der Abstieg dauerte weitere 2 Stunden. Wir erreichten Ingapirca gegen 15 Uhr. Beim abschließenden Besuch in den dort freigelegten Inkaruinen (die einzigen Ecuadors) genossen wir vor allem die Sonne und die Erholung für unsere geschundenen Füße. Auf der 8-stündigen Heimfahrt nach Quito wurde im Radio die Partie Ecuador – Argentinien übertragen. Ein schwacher Trost für uns EM-ferne Zeitgenossen, aber zugleich auch ein Erlebnis besonderer Art: Als Ecuador in der 2. Halbzeit in Führung ging, brach der Kommentator in ein Freudengeheul aus, das seines Gleichen sucht und mindestens 2 Minuten anhielt. Wir mussten alle schmunzeln. Und plötzlich wurde uns bewusst, wie still es in den letzten zwei Tagen über den Wolken gewesen war.
Am 16. Juli 2008 um 16:52 Uhr
Lieber Bruder deine Berichte sind wie immer unbeschreiblich gut !
Ich habe mich sehr gefreut sie alle nach England lesen zu koennen.
Wir muessen versuchen uns am telefon zu erwischen ich freu mich drauf dich zu hoeren
nice wishes
falaxi pingeling
Am 17. Oktober 2008 um 10:02 Uhr
Hi Max,
schön mal wieder von Dir zu hören!
Wir schließen aus Deinen Bildern und Deinen Erzählungen, dass es Dir nach wie vor gut geht. Das ist sehr beruhigend für uns.
Deine Beiträge sind, wie immer, beeindruckend. Du machst einfach einen richtig guten Job.
Wir freuen uns, dass die Zeit ohne Dich bald zu Ende geht und wir Dich bald wieder sehen können.
Pass auf Dich auf!
Ganz liebe Grüße von dem/der stolzen
tö und be
Am 2. Dezember 2008 um 18:01 Uhr
Hallo an alle…
zusammen mit einigen Freunden aus Ecuador, den USA und der Schweiz haben wir eine kleine Organisation aufgebaut die es euch ermoeglicht in Quito in Gastfamilien oder auch Wg’s zu wohnen… das tolle… es ist guenstig und die Menschen sind interessiert an euch…
Also…. auf http://www.wg-ecuador.de koennt ihr ja mal schauen oder mich unter 0031 – 68 1937 555 anrufen…
Wir sind super kurzfristig und schaffen es in der Regel etwas inerhalb von Tagen wenn nicht stunden zu organisieren!
Viel Spass in Ecuador.
LG BENJAMIN